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Wenn Gesprächeführen zu wichtig wird

Lange Zeit konnte ich keine Gespräche führen. Damit meine ich alltägliche Plaudereien. Einer erzählt etwas. Der andere reagiert darauf und erzählt wieder etwas, das dazu passt. Dieses Hin und Her an gesprochenen Worten, das für jeden so normal ist, dass man nicht darüber nachdenkt. Noch nicht mal ansatzweise auf die Idee kommt, dass da etwas Tiefgründigeres dahintersteckt, das für andere Menschen unmöglich ist. Für mich waren Gespräche ein kompliziertes Unterfangen. So kompliziert, dass es eben nicht funktionierte.

Als ich nicht sprechen konnte, hatten Gespräche einen merkwürdigen Stellenwert. Sie wären das Größte für mich gewesen. Ich hätte alles dafür gegeben, wenn ich aufgewacht wäre und es plötzlich gekonnt hätte. Der Wunsch nach gesprochenen Unterhaltungen war in meinem Kopf tief eingebrannt.

Ich erinnere mich noch gut an den Schulsozialarbeiter. Dort brachte mich meine Klassenlehrerin hin, weil sie sich Sorgen machte. Letzten Endes durfte ich dann einmal in der Woche zu ihm gehen. Für Gespräche, die nie funktionierten. Und er war im Prinzip der erste Mensch, der sich für mich interessierte. Mit mir reden wollte. Was waren das also für Schmerzen als es nicht ging. Seine Monologe waren kaum zu ertragen.

Gegeneinander statt miteinander reden

Dann konnte ich es. Und es war eine der größten Enttäuschungen, die mir begegnet sind. Nach ein paar Monaten in der Psychiatrie ging ich wieder zur Schule. Natürlich wollte ich den Sozialarbeiter besuchen und probieren, ob es geht. Ich hatte es mir schließlich so sehr gewünscht und mit Herr V. konnte ich inzwischen auch sprechen.

Es war ein schlechtes Gespräch. So schlechte folgten danach selten. Und ausnahmsweise lag es nicht an mir. Mir war nicht klar, dass miteinander reden auch wichtig ist. Dass es am Ende für ein gutes Gefühl nur darauf ankommt und wie viele Menschen nur gegeneinander und nicht miteinander reden können. Ich erzählte dem Sozialarbeiter, dass ich nun eine Diagnose hatte. Erzählte, was selektiver Mutismus ist und wie verstanden ich mich damit fühlte. Dann erzählte ich, wie toll Herr V. war, weil der Sozialarbeiter mich vor der Therapie noch überzeugen wollte, dass ich nicht alle Psychologen doof finden würde (er hielt Monologe, ich schrieb Briefe für die nächsten Male).

Kein Wort. Er sagte kein einziges Wort dazu. Nichts. Noch nicht mal ein Schön. Stattdessen erzählte er ganz genau die gleichen Geschichten wie die Monate davor. Geschichten aus seinem Alltag und Leben, die mich dann so gar nicht mehr interessierten. Denn j e t z t war ich dran.

Nach dieser Erfahrung ging ich nie wieder hin. Da platzte eine Seifenblase, die ich viel zu sehr behütet hatte. Ich hatte Gespräche zu hoch eingeordnet. Viel zu hoch. War zu vernarrt in Unterhaltungen, die es so nicht immer geben wird. Weil die Menschen dazu nicht immer richtig sind. Und nicht ich. Mit mir stimmte zum ersten Mal plötzlich alles. Ich war so richtig wie nie und er war nicht geeignet für mich.

3 thoughts on “Wenn Gesprächeführen zu wichtig wird

  1. ich hab so lange nicht geschrieben,
    aber! alles, alles gute zum geburtstag.
    ich wünsche dir, dass deine wünsche in erfüllung gehen,
    und dass du vor allem gesund bleibst!
    dieses gesprächsding hatte ich erst gestern wieder,
    ich habe aber festgestellt, dass das unterhalten durch (viel) üben leichter wird…
    liebe grüße aus dem schnee
    lena

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