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Sprechen: Nicht getraut

„Mara hat sich nicht getraut.“ Es hallt länger in meinen Ohren, als ich erwartet habe. Weil ich dachte, ich bin es endlich los. Dachte, dass es endlich einfach mal okay ist. Es stand nie zur Debatte, dass ich etwas hätte sagen sollen. Hätte ich es gemusst, hätte es ich gemacht. Natürlich wäre es besser gewesen. Sagen, ohne zu müssen. Aber das bin nicht ich. Das bin einfach nicht ich. Und vor allem „nicht getraut“. Wie das kleine mutistische Mädchen. Und nicht die erwachsene Frau mit Mutismushintergrund. „Nicht getraut“. Ich habe mich in meinem Leben wahrscheinlich mehr getraut als du zählen kannst. Und dabei kommt es nicht auf das was an! Sondern auf die dämliche Hürde, die überwunden werden muss. Bei jeder einzelnen hättest du dir wahrscheinlich in die Hose gemacht.

Ich dachte so sehr, es ist gut. Endlich einfach mal gut. Denn schließlich sagt man dem Dicken auch nicht „du isst ja wieder nur“. Oder demjenigen mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche „du wolltest ja mal wieder keine Antwort schreiben“. Warum immer die Stillen? Wo ist da der Anstand eines Erwachsenen? Warum ist es nicht einfach mal okay? Ich dachte ich wäre inzwischen dort, wo es das ist. Wo ich Stärken habe und Schwächen. Und dass es nichts mehr mit Trauen zu hat. Wie im Kindergarten. Ein kleines Mädchen, das sich schämt. Ich hasse es. Ich hasse es so abgrundtief.

Am liebsten hätte ich gesagt e r w i s c h t. Ich traue mich nicht. Hast es auf den Punkt gebracht. Und dann hätte ich gesagt, wie scheiße schwer es war, sich jedes kleine Wort zu erarbeiten. All die Ängste. Die Tränen. Die Wut und der Hass gegen sich selbst. Die vielen Schnitte auf den Armen und die Gebete, doch bitte einfach sterben zu dürfen. All die Jahre. Und mit all der Angst am Ende doch dort anzukommen, wo ich bin. Trotz solcher Menschen. Nicht getraut. Das ist das einzige, was ich mich nicht getraut habe. Meine Fassade zersplittern zu lassen.

3 thoughts on “Sprechen: Nicht getraut

  1. Liebe Mara, wenn ich nach einem langen Arbeitstag mit viel Kundenkontakt nach hause komme, habe ich oft keine Buchstaben mehr. Jedenfalls gesprochene. Schreiben geht dann noch. Mein Mann kennt das und fragt auch „hast du noch Buchstaben übrig?“ 😉 Das ist so nett umschrieben. Ich geh dann auch nicht mehr ans Telefon. Sie sind wirklich alle. So stelle ich mir das bei dir (ein bissel) vor. Du hast viel weniger Kontingent an Buchstaben, musst damit haushalten und sie sind eher alle. Na und? Erinnert mich auch daran: „Delikatessen werden in kleinen Portionen serviert“. Mal im Ernst; so mancher Wortschwall von Mitmenschen ist doch eh überflüssig? 😉
    Du bist eine Kämpferin und Siegerin. Und du hast dich getraut, in dieser komischen Welt zu bleiben, obwohl dir oft das Gefühl gegeben wird, dass du hier nicht rein passt. Du passt und bist besonders. Wer sich nicht die Mühe macht, dich zu verstehen und dafür 1000 Worte braucht, die du nicht hast, ist auch keinen deiner klugen Gedanken wert.
    Einen schönen Abend dir noch und viele Grüße von Miki

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